Elsbeth Arlt
 

Leseprobe

Manche leuchten, wenn man sie liest

Silke Krohn
»André Gide: ›Les Nourritures terrestres‹«


Lutz Jahre
»Schriftbilder, Satzzeichen, Wortschätze«


Publikationen

Silke Krohn  |  André Gide: »Les Nourritures terrestres«

Zu den zwei deutschen Übersetzungen

1897 im Alter von 28 Jahren veröffentlichte der spätere Literaturnobelpreisträger André Gide (1869–1951) sein Werk »Les Nourritures terrestres«. Er entwirft darin den idealen Menschen, der die Konventionen hinter sich lässt und sich von einer neuen Lehre nähren lässt: »Ich schrieb das Buch in einem Augenblick, da unsere Literatur entsetzlich gekünstelt und mufï¬?g schien. So sehnte ich mich nach Erde … Ich wollte sie wieder berühren, den nackten Fuß auf den Boden setzen.« (1)

Das Werk besteht aus acht Büchern, welche Aphorismen, Maximen, eingestreute »rondes« und »ballades«, eine längere Erzählung und ein Reisetagebuch umfassen. Im ersten Buch fordert der Ich-Erzähler seinen Schüler Nathanaël auf, sein erlerntes Wissen zu vergessen und die Bücher in sich zu vernichten. Im »Rondo anzubeten, was ich verbrannt habe« (2) weist er auf die Vielfältigkeit der verschiedenen Bücher hin, auf die Möglichkeiten, die sie offenbaren, die mannigfaltigen Gelegenheiten, zu denen sie verwendet werden, sowie die Gefühle, welche sie vermitteln können.

»Manche leuchten, wenn man sie liest« (3), das Zitat aus diesem Rondo veranlasste Elsbeth Arlt zu ihrer Arbeit. Es stammt aus der Übersetzung von Hans Prinzhorn aus dem Jahre 1930, deren Entstehung hier erläutert werden soll, um einen Vergleich mit der Neuübersetzung aus dem Jahre 1999 von Hans Hinterhäuser zu ermöglichen.

Gide war seit seiner Kindheit mit der deutschen Sprache und Deutschland selbst vertraut. Schon früh hatte er begonnen, sich mit der deutschen Literatur zu beschäftigen. Zu den wichtigsten deutschen Autoren und Philosophen, die sein Leben und Werk beeinflussten, gehörten Goethe, Nietzsche und Schopenhauer. So lag ihm viel daran, dass seine Werke ins Deutsche übertragen wurden.

Zunächst bemühte sich Gide selbst um die Übersetzer seiner Werke. Bereits 1921 bat Gide Rilke, der bereits »Retour de l’enfant prodigue« ins Deutsche übertragen hatte, auch »Les Nourritures terrestres« zu übersetzen, dieser lehnte jedoch aus Zeitmangel ab. Möglicherweise hielt Rilke aber auch an seinem ersten Gedanken fest, dass das Werk unübersetzbar sei. (4) Erst als die Deutsche Verlags-Anstalt die Betreuung von Gides Gesamtwerk übernommen hatte, konkretisierten sich die Pläne »Les Nourritures terrestres« ins Deutsche zu übertragen. Dem Werk sollte entsprechend seiner Bedeutung eine besondere Rolle zu Teil werden. Gide hatte immer wieder betont, wie sehr ihm daran läge, dass gerade dieses Buch in Deutschland bekannt würde.

So plante Gustav Klipper, der Leiter des Verlages, eine deutsche Ausgabe des Werkes zu dem sechzigsten Geburtstags Gides im Jahre 1929, und zwar in einem kleinen Format, welches man in der Tasche mit sich führen könnte, wie Gide es sich wünschte. […]

(1) Vgl. André Gide: Préface de l’édition de 1927 in: André Gide: Les Nourritures terrestres et Les nouvelles Nourritures, Paris (239) 1947, S. 11
(2) André Gide: Uns nährt die Erde. Deutsche Übertragung von Hans Prinzhorn, durchgesehen und überarbeitet von André Gide, Stuttgart 1930, S. 39–41
(3) Ebd. S. 40
(4) Vgl. Brief vom 23.12.1931 von Rilke an Gide, zitiert in: Yvonne Davet: Autour des Nourritures terrestres. Histoire d’un Livre, Paris 1948, S. 162–163

aus: Elsbeth Arlt, »Manche leuchten, wenn man sie liest«. Hrsg. v. der Stadtgalerie Kiel und Elsbeth Arlt, Kiel 2003, S. 11–12