Elsbeth Arlt
|
|
LeseprobeManche leuchten, wenn man sie liest |
Lutz Jahre | Schriftbilder, Satzzeichen, WortschätzeKulturbüro und Stadtbücherei Flensburg
Genau an diesem Punkt setzt Elsbeth Arlts Entwurf an. Er gibt dem Buchrücken das notwendige Gepräge und macht so auf den Inhalt des Gebäudes aufmerksam, der sonst nicht auf den ersten Blick aus der Architektur ableitbar wäre. Über dem dunklen Eingangsbereich lässt die Künstlerin ein 34 Meter langes, in Leuchtschriftbuchstaben ausgeführtes Zitat von André Gide laufen: »Manche leuchten, wenn man sie liest …«. Der Satz stammt aus einem poetischen Text, einem Rondo, in dem Gide wunderschöne Worte für den besonderen Charakter von Büchern ï¬?ndet (5). Elsbeth Arlt hat das Zitat bereits 1989 als Titel für eine Videoarbeit verwendet, in der sie Seite für Seite den Raum selbst gemalter Bücher durchschreitet (6). Nun, als Neonschrift für den Eingang einer Bibliothek, entfaltet das Zitat seine ganze Poesie. Es macht die Bibliothek unmittelbar als das erfahrbar, was sie ihrem Wesen nach ist: Ein überdimensionales Buch, die Summe aller Bücher. Elsbeth Arlt verweist mit ihrem Bild auf die universale Bedeutung der Bibliothek mit ihrer großen geistes- und zivilisationsgeschichtlichen Tradition. Die Leuchtschrift, eine sinnfällige Verkörperung der Lichtmetapher, ermöglicht die vielfältigsten Assoziationen von den illuminierten Schriften des Mittelalters über die Aufklärung bis hin zur bunten Reklamewelt heutiger Tage. Die Arbeit vereint symbolische und praktische Aspekte in ein und der gleichen Form. Das weithin sichtbare Neonschriftband markiert den Eingang der Bibliothek so deutlich wie die Leuchtreklame eines Supermarktes; zugleich aber weist der so markierte Text den Weg in die immaterielle Tiefe eines großen geistigen Gebäudes. […] (5) André Gide: Uns nährt die Erde. Deutsche Übertragung von Hans Prinzhorn, DVA Stuttgart 1930, S. 39–41
aus: Elsbeth Arlt, »Manche leuchten, wenn man sie liest«. Hrsg. v. der Stadtgalerie Kiel und Elsbeth Arlt, Kiel 2003, S. 21–24 |