Elsbeth Arlt
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LeseprobeJeder Tag ist anders |
Dorothee Bieske | Tagewerke – Zu den Aufzeichnungenvon 1974–2003
Bereits während ihres Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg bei Franz Erhard Walther und Bazon Brock zeigte sich Elsbeth Arlt von der damals noch relativ jungen Konzeptkunst (1) beeinflusst und begann damit, »tägliche Notationen in Wort und Bild« anzulegen. Über einen jeweils festgelegten Zeitraum, meistens ein Jahr, verfolgt sie eine sich selbst gestellte Vorgabe, wie z. B. »Für jeden Tag ein Bild/ Wort setzen, die aufeinander bezogen den Tag rekonstruierbar machen.« (2) oder »Jeden Tag irgendwie festhalten.« (3) Die bis zu 365 einzelnen Blätter einer Aufzeichnung strukturieren Kunst- und Alltagserfahrungen. Der Kalender eines Jahres, in seiner simplen Chronologie, bildet den imaginären Rahmen einer Aufzeichnung. Elsbeth Arlt hat ihre Grundgedanken dazu bereits 1983 folgendermaßen zusammengefasst: »Seit ungefähr zehn Jahren arbeite ich an/mit unterschiedlichen Formen des Aufzeichnens. Tägliche Aufzeichnungen sind ein roter Faden, der durch meine Bemühungen/Arbeiten läuft. Immer entscheide ich mich für ein Konzept, nach dem ich ein Jahr lang einheitlich aufzeichne. Damit reduziere ich zunächst die Vielfalt der Möglichkeiten. Tägliche Aufzeichnung bedeutet unmittelbare Vergegenständlichung, sozusagen direkter, impulsiver Bezug auf Wirklichkeit, ohne das Ergebnis vorweg zu nehmen, also auch als Künstler sich von dem Ergebnis überraschen zu lassen. Durch das Aufzeichnen möchte ich einen Zusammenhang konstruieren, ich möchte nahe an mich herankommen und auch Ordnung in die Sache bringen. […]« (4) Beim Blättern durch die vorliegende Publikation und beim Wandern durch die Ausstellungsräume durchlebt der Betrachter ein Jahr von Januar bis Dezember. Die Monate sind oben auf die Wände geschrieben, die Daten über die Abbildungen auf den Buchseiten. Auf den ersten Blick ergibt sich ein klar gegliedertes Nacheinander der Arbeiten Elsbeth Arlts. Doch was so einfach erscheint, enthüllt auf den zweiten Blick eine tieferliegende vielschichtige Ordnung. Zwar folgen Arbeiten der Monate Januar bis Dezember aufeinander – sie entstanden jedoch in verschiedenen Jahren und Jahrzehnten, deren Chronologie durcheinander gewürfelt ist. Die Künstlerin zeigt dabei immer einen ganzen Monat und/oder einen Tag. Das Jahr beginnt in den Ausstellungsräumen mit den täglichen Aufzeichnungen aus dem Januar 1996, die zu einem Block zusammengefasst sind. Sie sind Bestandteil der von Januar bis März 1996 geführten Arbeit »Hallo Erde, ich komme zurück!« Aufzeichnungen von einem Planeten, in der Elsbeth Arlt Bilder und die dazugehörenden Schlagzeilen aus der Lokalpresse aufgreift. Aus Pressefotos werden gleichgroße Aquarelle, die Schlagzeilen als maschinenschriftlicher Text darunter notiert. In Gemälden vollzieht die Künstlerin einen weiteren Schritt der Überarbeitung. Wie ein Zoom auf eines der Tagesereignisse erscheint die Darstellung zweier Astronauten, die ins All entschweben. Dazu zitiert sie die Pressemitteilung mit der Schlagzeile »Zum Aufgang der Sonne ›raus ins All‹« und verhilft den Ausstellungsbesuchern auf den Weg durch das imaginäre Jahr der Elsbeth Arlt. An diesem ersten Ausstellungspaneel zeigt sich bereits das Konzept der Ausstellung, in das der Rezipient von Beginn an einbezogen ist. Das Nebeneinander von kleinformatigen Tagesnotationen und großformatigem Bild fordert zu einem Wechsel von Distanz und Nähe auf. Aus der Distanz heraus wahrzunehmen ist die Ästhetik der im Block gehängten Blätter und ihre formale Ähnlichkeit. Aus der Nähe erschließen sich die einzelnen Aquarellzeichnungen mit den dazugehörenden Texten. Wiederum aus der Distanz nimmt der Betrachter die großformatigen Überarbeitungen einzelner Tagesnotationen wahr, ob dies nun eine in Malerei umgesetzte Fotograï¬?e oder Zeichnung, eine überdimensionale beschriftete Karteikarte oder eine fotomechanische Reproduktion ist. Der Besucher wird dazu aufgefordert, sich aus der Entfernung einen Überblick zu verschaffen und sich dem Detail in seiner individuellen »Herangehens-weise« buchstäblich zu nähern. So, wie Bild und Text in einen Dialog miteinander treten, tritt der Betrachter in einen Dialog mit den Notationen, um sich »ein Bild zu machen«. Dass der Betrachter andere Assoziationen entwickelt als Elsbeth Arlt, wird von der Künstlerin vorausgesetzt, die Freiheit und Vielfältigkeit der Bezüge und Interpretationen sind immanenter Bestandteil der Arbeiten. […] (1) Zur Konzeptkunst siehe u.a. Klaus Honnef, Concept Art, Köln 1971. Ulrich Tragatschnig, Konzeptuelle Kunst. Interpretationsparadigmen, Berlin 1998. Elke Bippus, Serielle Verfahren. Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalismus, Berlin 2003.
aus: Elsbeth Arlt, »Jeder Tag ist anders«. Hrsg. v. Museumsberg Flensburg, Flensburg 2004, S. 14–22 |