Elsbeth Arlt
 

Leseprobe

»etwas geht noch«, Schilderungen

Annie Bardon


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Annie Bardon  |  Elsbeth Arlt »etwas geht noch«, Schilderungen


Bereits seit Mitte der achtziger Jahre befasst sich Elsbeth Arlt mit dem Verhältnis von Sprache und Bild. Mit durchgehaltener Konsequenz thematisieren ihre Arbeiten Sprache und die ihr angelegten Kategorien der Welterschließung und bleiben meistens mit dem Ort verknüpft, an dem sie erscheinen. Sie bewirken eine Sensibilisierung für Grenzüberschreitungen zwischen Bild und Anschaulichkeit, Sprache und Lesbarkeit.

Im Kontext der Ausstellung hat Elsbeth Arlt darüber hinaus noch eine Art von Grenzüberschreitung geplant, indem sie an unterschiedlichen Orten der Stadt – von der Schweinsbrücke über die Frische Grube zum Baumhaus am Hafen – 29 ungewöhnliche Schilder installiert hat.

Schilder bedeuten immer dirigistische Verordnungen, ihnen wird eine generelle Gültigkeit zugewiesen und Verstöße dagegen werden entsprechend geahndet. Schilder versuchen sich einen Herrschaftsraum zu sichern.

DIE Schilder von Elsbeth Arlt unterscheiden sich in ihrem Erscheinungsbild  nicht von handelsüblichen, die jeder kennt: eine schwarz umrandete gelbe Fläche mit schwarzer Schrift, mittig angelegt. Die Künstlerin bedient sich dieses verführerischen Wiedererkennungseffekts, um im öffentlichen Raum die Ambivalenz von Bedeutungen in wechselnden Kontexten zu demonstrieren. Die gewöhnlichen Schilder verbindet sie mit selbst verfassten Texten zu einer Einheit. Sie führt im Schilde Worte, die den Geist beschäftigen, ohne ihn unbedingt an ein Objekt oder eine Situation zu binden. Verrätselt poetische Sätze sind dort zu lesen. Sie erwecken dne Eindruck von Geheimbotschaften, zu denen der Schlüssel fehlt. Man vermeint dem Sinn nahegekommen zu sein, bleibt aber vielleicht stecken.

Arlt zwingt den Betrachter genau hinzusehen, bietet ihm die Gelegenheit nicht etwas zu sehen, was er schon erwartet, sondern zu entdecken, was er tatsächlich zunächst unbewusst und später bewusst wahrnimmt: Worte, Sätze, Stimmungen hervorrufen, Erinnerungen wecken oder Gegebenheiten zeigen.

Lesend werden die »Objekte« wahrgenommen. Der römische Spruch „Siste Viator“ (Bleibe stehen, wanderer und lies) fällt dem flanierenden Betrachter unwillkürlich ein. Lesend merkt er, dass die Verortung der Schrift – ob an einer Hauswand, an Geländern oder an Bauzäunen – das geschriebene verändert und ihm ein spezifisch semantisches Gepräge gibt.

Was die Schrift mitteilt, steht im Gegensatz zu dem, wie sie es mitteilt. Die augenscheinliche Privatheit des sprachlichen Codes prallt auf den ebenso öffentlich wirksamen Code des Schildes. Der Ordnungshinweis gegenüber der persönlichen Botschaft nur ein Scheinwiederspruch. Was Jürgen habermas als „Struckturwandel der Öffentlichkeit beschrieben hat und was Richard Sennett als »Tyrannei der Intimität« zu kritisieren sucht, ist gerade das Ineinander der Sphären. In der „Scheinwerferprivatheit“ der Gegenwart ist die Frage nach der politischen Wirksamkeit visueller und literaler Codes hinfällig geworden. So gesehen liefert Arlt wieder ein Pendant zur Wirklichkeit. Sie bildet sie nicht ab, bedient sich aber ihrer Mechanismen.

Die »Schilderungen«-Aktion von Elsbeth Arlt bricht ironisch und auch beinahe subversiv in bestehende Verfügungsgewalten ein und besetzt damit Bildräume einer symbolischen Gegenherrschaft. Die künstlerin operiert dabei an den Grenzen der bewussten Wahrnehmung. Aber ihr gelingt der Sprung auf eine Sinnebene, auf der das scheinbar Vertraute durcheinander gerät und sich überraschend, aufschlussreich, verwirrend und Erkenntnis steigernd umorganisiert.

aus: »Zum Wasser ins Licht« Kunst im Stadtraum, Historische Altstadt Wismar, Hrsg. Hansestadt Wismar, 2005