Elsbeth Arlt
 

Leseprobe

Guten Morgen lieber Theodor

Uwe Haupenthal
Auszug aus dem Katalogtext »HusumwindArt«


Publikationen

Uwe Haupenthal  |  »Guten Morgen lieber Theodor«

Installation von 32 Textsegmenten aus dem Briefwechsel
Theodor Storms mit Constanze Esmarch aus den Jahren
1844–1846 (herausgegeben von Regina Fasold, Berlin 2002)
Husum 2007

Elsbeth Arlt greift in ihrer Installation Guten Morgen lieber Theodor Storms Briefwechsel mit Constanze Esmarch auf, indem sie Briefpassagen in Tafeln gravieren lässt. Optische Vereinheitlichung und differenziertes Wiedererkennung wird durch schwarze bzw. weiße Grundierung gewährleistet, was den Storms bzw. denjenigen Constanzes kenntlich macht. Die Tafeln bilden eine dialogische Grundstruktur und werden alternierend in der Husumer Innenstadt an Laternenpfählen angebracht. Während sich die ausgewählten Zitate aus Storms Briefen ausnahmslos auf das Thema des Windes beziehen (denk an den tiefen stillen Grund, / den kein launiger Wind bewegen kann), bilden diejenigen Constanzes einen weit individueller ausgerichteten Part (Guten Abend, Herzens Theodor, / süßen Abend ich küsse / Dich zärtlich,- Wie geht es Dir). Auf diese Weise ergibt sich in verfremdeter Umgebung eine leicht zu identifizierende serielle Textreihung, die in ihren Inhalten wie durch optische Normierung eine medial abgeschlossene Einheit bildet. Wirken die ausgewählten Textfragmente in ihren Themen wie in ihrer altertümlich-poetischen Sprache zunächst wie anrührende Fremdkörper, so geht von ihnen auch ein poetischer Reiz aus. Dieser beschränkt sich jedoch keineswegs auf eine Ebene, sondern greift in verschiedene Richtungen aus. Will heißen: Elsbeth Arlts konzeptioneller Ansatz macht die Substanz des Briefwechsels zwischen Storm und seiner Braut zum eigentlichen Gegenstand ihrer Arbeit. Vor allem Constanze besteht selbstbewusst und gänzlich unaufgesetzt auf menschlicher Nähe und Intimität: Endlich, endlich, komm ich / zu Dir mein Theodor. Der Leser dieser Zeilen indes gerät unausweichlich in die Rolle des Voyeurs, zumal Elsbeth Arlt sich nicht in inhaltlichen Konstellationen verliert und sich statt dessen in geradezu puristisch anmutender Strenge auf Kernaussagen beschränkt. Auf diese Weise wahren die ausgewählten Sätze ihre intendierte Nähe. Constanze bleibt als lebendig-liebende Person gegenwärtig. Es ist dies im Übrigen eine entscheidende Voraussetzung für das rezeptive Verständnis der Position ihres Bräutigams Theodor Storm. Dessen Part erscheint weit strenger, da ausschließlich Briefpassagen und Gedichtzeilen zum Thema Wind und Wetter zitiert werden. Noch immer beeindruckt Storm durch seine Sprachmächtigkeit, einerlei, ob es sich um eine offenbar schnell hingeworfene Bemerkung handelt (Nacht Dange, in Gedanken, die sind / doch schneller als der Wind, und / viel wärmer und treuer) oder aber um die Gedichtzeilen Nur in den Schlünden schwatzte / Der Wind durch die Grabesruh, / Und droben in der wilden Nacht / Alleinzig ich und du.
Elsbeth Arlts Anthologie wird beiden Briefpartnern gerecht. Storm und Constanze erscheinen gleichwertig, was eben auch bedeutet, dass die Zitatauswahl nicht länger einer Fokussierung auf Storms dichterisches Werk unterliegt, wenngleich dessen poetischer Anspruch auch die Auswahl seines Briefstellen bestimmte. Zwei unterschiedliche Erwartungshaltungen, wenn nicht gar zwei Lebensentwürfe, treffen unmittelbar aufeinander: Bürgerliche Konventionen, aber auch jugendliche Unbeschwertheit und Lebenslust finden ihre Entsprechung in einer durch Poesie bestimmten Lebenshaltung. Dabei ist es gerade die von Elsbeth Arlt ausgewählte Ausdeutung des Atmosphärischen, die in Storms Briefen eine lyrische Intensivierung erzeugt. Storms poetische Welt wird demnach nicht länger von isoliert-neutraler Warte aus betrachtet, sondern sie erfährt zuvorderst eine konkrete, weil dialogisch angelegte, personale Ausrichtung.
Srorm vertrat eine extrem individualistische Position, die zwar bei nachfolgenden Dichtergenerationen überaus populär war, die sich jedoch ohne Substanzverlust im Grunde nicht wiederholen ließ. Deren erotisch gefärbte künstlerische Ausgangslage in Relation zur Erfahrung der Landschaft, oder, wie in der vorliegenden Auswahl, zum Erlebnis der küstenbestimmten Atmosphäre, begründete eine originäre poetische Haltung, die Elsbeth Arlt in ihrer Installation herausfiltert. Dieses gelingt gerade durch den rezeptiven Bruch, der sich zwischen Storm und Constanze auf der einen Seite und der heutigen, optisch lauten, merkantil bestimmten Situation der Husumer Innenstadt ereignen muss. Zeit erscheint als eine ebenso distanzierende wie klärende Bedingung in der Erfahrung von Kunst. Will heißen: Muten die Textpassagen aus dem Briefwechsel zwischen Storm und Constanze auch wie Relikte aus längst vergangener Zeit an, so führen sie gleichwohl eine künstlerisch geschlossene und vor allem überzeugende Position vor Augen. Zudem erzeugen sie einen Fremdkörper, den man womöglich erst in der für ihn unvorteilhaften und fremden Umgebung auf den zweiten Blick entdeckt, dessen Wirkungspotential sich jedoch darum um so nachhaltiger entfaltet. Und es ist der offen vorgetragene Individualismus beider liebender Briefpartner, der eine radikale künstlerische Position beschreibt. Doch erst die strenge bipolare Konzeption in Elsbeth Arlts Textinstallation, die zugleich einen poetischen Handlungsrahmen bezeugt, sichert rezeptive Nachhaltigkeit

aus: »HusumwindArt«, Hrsg. Verlag der Kunst Dresden Inwert Paulsen jr., Husum 2007