Elsbeth Arlt
 

Leseprobe

MALGRÜNDE

Anette Hüsch
Laudatio für Elsbeth Arlt


Dorothee Bieske
Katalogbeitrag »mal Lust & MALGRÜND«


Publikationen

Der Text entstand als nachträgliche Niederschrift der Laudatio für Elsbeth Arlt anlässlich der Verleihung des Kunstpreises des Landes Schleswig-Holstein am Donnerstag, dem 8. November 2012 auf dem Museumsberg Flensburg.

Die Rede entspricht insofern nur zum Teil dem mündlichen Vortrag. Es wechseln sich Passagen der direkten Anrede an die Künstlerin mit solchen des Sprechens über Elsbeth Arlt ab.

 

Anette Hüsch  |  Laudatio für Elsbeth Arlt

 

Sehr geehrte, liebe Frau Arlt,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

üblicherweise sind zu Gelegenheiten wie diesen, der Verleihung von Preisen und Ehrungen, die zu würdigende Persönlichkeit und der Laudator oder die Laudatorin bereits einen langen gemeinsamen Weg gegangen. Die Laudatorin kennt das Werk der Geehrten seit Jahren, besser noch seit Jahrzehnten und ist, im allerbesten Fall, mit der Person ebenso lange freundschaftlich verbunden. Diese Voraussetzungen können ein Indikator dafür sein, dass die Laudatio ‒ mit Anekdoten und Vertraulichkeiten gespickt und von langjähriger Meinungsbildung geprägt − zu einer geistreichen, unterhaltsamen Rede wird. Manchem Laudator gelingt es sogar, nicht nur die zu ehrende Person, sondern ein wenig auch sich selbst als Kenner dieses außergewöhnlichen Charakters zu positionieren.

Liebe Frau Arlt, als Sie mich baten, diese Laudatio zu halten, wussten Sie, dass das eben Beschriebene nicht eintreten würde, nicht eintreten könnte. Denn wir kennen uns erst seit kurzem. Und dennoch erlauben Sie mir bitte die Mutmaßung, dass gerade die Kürze unserer Bekanntschaft Sie dazu bewogen haben mag, mich zu fragen, ob ich heute hier sprechen würde. Weil Sie neugierig waren zu erfahren, wie mein Blick auf Ihr Werk ausfällt. Und ich entspreche Ihrer Bitte sehr gerne. Es fällt mir sozusagen leicht ‒ nicht deshalb, weil Ihr Werk so eingängig oder einfach wäre, sondern weil Sie darin gekonnt so zahlreiche Bezugssysteme und Assoziationsräume öffnen. Ihr Werk reicht von seriellen, kleinen Aufzeichnungen, den Notationen, die sich als eine Form des poetischen, augenzwinkernden, manchmal melancholischen Tagebuchschreibens, als illustrierte Kurztexte oder betitelte Aquarelle charakterisieren lassen, bis hin zu großformatigen, gestischen Tafelbildern; es reicht von Performances und Installationen bis hin zu Ihren umfangreichen Kunst-am-Bau-Projekten. Die Fülle und Verschiedenartigkeit der einzelnen Werkgruppen zeigt Sie als äußerst vitale, neugierige und furchtlose Künstlerin.

Drei Eigenschaften sind mir während der intensiven Beschäftigung mit Ihren Werken immer wieder in den Sinn gekommen, drei Eigenschaften, mit denen sich Ihr künstlerischer Weg charakterisieren lässt, der eine sehr eigenwillige, unverwechselbare Position in der Gegenwartskunst ist:

Die erste ist die Lakonie. Eine lakonische Haltung spricht aus vielen Titeln, aus vielen Sentenzen und Stichworten, die unter anderem in Ihren Aufzeichnungen zu finden sind. Lakonisch zu sein bedeutet, sich kurz zu fassen ‒ ebenso, wie es die Bewohner Lakoniens im alten Griechenland taten ‒ und über diese, manchmal schroffe Kürze der sprachlichen Knappheit inhaltliche Komplexität zu vermitteln. Elsbeth Arlt schafft es, solche verknappenden Synthesen mit Humor zu paaren. Die Worte, mit denen die Künstlerin arbeitet, die enge Verknüpfung zwischen Bild und Text adressiert den Betrachter, die Leserin: ob ›Die Feuchtigkeit im Sockelbereich‹, ›Soda‹ oder ›Aquarail‹, der lakonische Einschlag hallt in vielen Titeln nach.

Das zeigt sich in den gelungenen Wortfindungen, die die Künstlerin nicht nur der hohen Kunst entlehnt, sondern mit denen sie im Aufgreifen alltäglicher Bezeichnungen neue Bedeutungsebenen kreiert: ›Jeder Tag ist anders‹, ›morgens um halb acht‹ berichten Alltäglichkeiten und Zustandsbeschreibungen. Elsbeth Arlt zerlegt in Bestandteile, setzt neu zusammen und nähert sich in der Bewegung dem Kern der Sache.

Humor und lakonische Distanz zum Dasein sind zwangsläufig mit einer großen Ernsthaftigkeit eng verbunden. Die Ernsthaftigkeit ist der zweite Begriff, den ich mit ihrem Werk verbinde. Diese zeigt sich in der Nähe der Werke zur Konzeptkunst. Die Theorie dieser Kunstrichtung zieht sich durch das Werk der Künstlerin. Sie ist auch ganz direkt, fast möchte ich sagen: »wortwörtlich«, zum Gegenstand der Kunst geworden, in dem Elsbeth Arlt einen zentralen Text der Konzeptkunst, ›The Dematerialization of Art‹ von Lucy Lippard, einer Vertreterin der feministischen Kunsttheorie, zum Motiv einer Aufzeichnung, später eines großformatigen Gemäldes machte. Lippards These von einer zunehmenden Entmaterialisierung der Kunst, die aus der stärkeren Betonung der Idee und dem Konzept gegenüber der sinnlichen Erscheinung des Kunstwerkes resultiere, wird in diesem Buch erläutert.

Ernsthaftigkeit ist bei Ihnen, liebe Frau Arlt, aus meiner Wahrnehmung heraus häufig gepaart mit einer Wut, einer Aggression, die vor allen Dingen in Ihren performativen Arbeiten zum Ausdruck kommen: So sitzt Elsbeth Arlt in dem Video ›Bücherkapelle‹ auf dem Boden eines entweihten, ehemals sakralen Gebäudes, das als Lagerraum einer Fahrbücherei genutzt wurde. Sie sitzen dort, filigran und zart, und reißen Bücher kaputt. Entlang der Fadenheftung fliegen Doppelblätter um Sie herum. Es ist das Reißen zu hören, das jeden Bücherfreund erschüttern lässt. Sie reißen und reißen, bis Sie in einem Meer von zerstörten Büchern sitzen. Sie blicken etwas unruhig in die Kamera, noch nicht ganz zufrieden, fast gierig. Als wir darüber sprachen, wie sehr mich diese Arbeit beeindruckt hat, redeten Sie mir gut zu, ich solle doch selbst einmal Bücher zerreißen, das Geräusch sei faszinierend. Diese Form der Empathie und Einfühlung in die Künstlerseele, liebe Frau Arlt, habe ich mir jedoch verkniffen. Auch eine zweite filmische Arbeit hat mich in diesem Zusammenhang sehr beeindruckt. Der Titel ›morgens um halb acht‹ lässt Assoziationen an den eigenen Alltag zu: Die eine auf dem Weg zur Arbeit, der andere schon mittendrin, der nächste auf dem Weg, die Kinder in Schule und Kindergärten zu bringen; andere liegen vielleicht noch im Bett. Der Text, den Sie aus dem Off sprechen, erzählt von dem Arbeitsalltag einer Künstlerin: von den räumlichen Orten und deren Bedeutung als symbolische Orte des künstlerischen Schaffens der Elsbeth Arlt. Von dem Ringen, morgens um halb acht im Atelier in der Angelburgerstraße 23 zu sein und zu arbeiten. Der rhythmische Text ist geprägt von vielen Wiederholungen und immer wiederkehrenden Sentenzen. Auch in dieser um sich selbst kreisenden Textarbeit ist eine Form von Aggression spürbar, die in schlichten knappen, durchaus auch lakonischen Sätzen sehr viel von der notwendigen Einsamkeit der Künstlerin bei der Arbeit preisgibt, von der unbedingten Qual und der elementaren Lust der Kreativität.

Die Bedeutung der Idee, des Konzepts für ein Werk, durchzieht sämtliche Werkphasen. Selbst wenn Sie sich in den 1980er Jahren der gestischen Malerei zuwenden und in Ihrem damals neuen weiträumigen Atelier großformatige, kontrastreiche Gemälde in schneller Folge malen, ist auch diese Arbeitsphase als ein Konzept fassbar.

Neben der Bedeutung der Idee, des Konzepts, ist die Ausführung, das sinnliche Objekt von zentraler Bedeutung in Ihrem Werk. Damit komme ich zu dem dritten Begriff, der mir zu Ihrem Werk einfällt: Die Akkuratesse, die Präzision, mit der Sie sämtliche Ideen ins Werk setzen. Das zeigt sich an der technischen Umsetzung, aber auch an der Genauigkeit, mit der Sie von Ihrer künstlerischen Warte aus die Werke anderer bildender und schreibender Künstler anschauen und sie spielerisch aufgreifen. Der Dialog mit anderen künstlerischen Gattungen ‒ wie der Literatur und dem Buch als Medium ‒ ist genuiner Bestandteil Ihrer Arbeit. Sie haben sich einzelnen Literatinnen und Literaten wie Gertrude Stein, André Gide oder Gotthold Ephraim Lessing genauso zugewendet wie ganzen Bibliothekskörpern und großen, nicht fassbaren Buchbeständen ‒ ob im Rahmen von Notationen und Bildwerken, der Treppenhaus-Installation ›So kam Gertrude Stein‹ (2003) in Flensburg oder der Außeninstallation ›Manche leuchten‹ an der Universitätsbibliothek der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Die Größe, Klarheit und Akkuratesse der Positionierung der Worte erinnern, wie sich in Kiel wunderbar sehen lässt, an die Macht des Wortes, erinnert an die Kraft der Poesie und die Bedeutung von Bibliotheken, geschützten Erfahrungsräumen, in denen man sich dem Buch, der Lektüre, dem Suchen und Finden hingeben kann. »Manche leuchten, wenn man sie liest.« Es ist ein lockendes Versprechen, das einem Gedicht von André Gide entnommen ist. Dieser poetische Satz, der in der Art und Weise der Positionierung an der Bibliothek, über Eck laufend, zahlreiche Assoziationen zwischen dem Text, dessen Bedeutung und seiner Positionierung als Leuchtschrift im Außenraum zulässt, ist auch das Dokument des interkulturellen Austausches, in diesem Fall zwischen einem französischen Autor und seiner deutschsprachigen Leserschaft.

Das Interesse an Text-Bild-Kombinationen begleitet Sie seit Beginn Ihrer künstlerischen Karriere, seit den frühen Aufzeichnungen. Diese Aufzeichnungen oder Notationen sind für mich elementar für den Zugang zu Ihrem Werk, liebe Frau Arlt. Denn dort sind zahlreiche Aspekte angelegt, die Ihr Werk auszeichnen: Die hohe visuelle Qualität, die Liebe zum geschriebenen Wort und zum Buch, das Serielle, der Umgang mit verschiedenen Materialien und die imaginierten Assoziationen und der Bezug zu seinem Gegenüber ‒ zur Welt, wie sie sich Ihnen darstellt, zur Kunst und Kultur, die Sie immer wieder als Ausgangspunkt für Ihr eigenes Schaffen begreifen.

Texte und Texturen spielen eine zentrale Rolle, sogar auf jenen Bildern, die nicht mit entzifferbaren Buchstaben und Schriftzeichen arbeiten, sondern mit gestischen oder ornamentalen Strukturen auf großformatigen Malgründen. ›Malgründe‹, das Wort wurde sogar titelgebend für eine Werkserie großformatiger Bilder, von denen sich einige heute dank einer Schenkung durch Sie in der Kunsthalle zu Kiel befinden. Interessanterweise haben Sie mit diesen Bildern erst einige Jahre nach Ihren Notationen begonnen. So unterschiedlich die einzelnen Werkgruppen sind ‒ die Künstlerbücher, die Textarbeiten auf Gebäuden oder auf Schildern, die installativen Objektarrangements wie ›Pflegenotstand‹ oder eben die großformatigen Gemälde ‒, der Reiz Ihrer Werke liegt in Ihrer künstlerischen Fähigkeit, mit großer Akkuratesse und gleichzeitig emotionaler Wucht den Betrachter einzubinden. Sie sprechen direkt an, und zwar sich selbst ebenso wie uns, die Betrachter. Das ist gradlinig, poetisch, charmant, gelegentlich aber in seiner prüfenden Sorgfalt eben durchaus aggressiv.

Ihre Kunst, liebe Frau Arlt, ist für mich Ausdruck einer Disziplin der Zügellosigkeit, die Sie in Ihren unterschiedlichen Werken immer wieder neu justieren: Sie sind genau, auch im Zulassen des Nichtkalkulierbaren, im Loslassen der eigenen Idee. Die Durchlässigkeit zwischen beiden Zuständen, zwischen Kunstgattungen, Rezeptionsmodi und Erfahrungen spiegelt sich in Ihrem Werk. Diese Breite findet sich auch in den Formaten wieder, mit denen Sie umgehen: kleine Aquarelle auf reisetauglichem, handzettelgroßem Papier; großformatige Tafelbilder und schließlich Kunst am Bau-Projekte, in denen Sie in bestehende Architekturen und Gebäudestrukturen hineinarbeiten.

Sie sezieren den Alltag, den Alltag als Künstlerin: Aufgaben werden gestellt, beispielsweise das Zeichnen beim Fahren eines Autos, aus denen die ›Fahrtenbücher‹ entstehen, oder die Aufgabe, in 24 Stunden alle halbe Stunde eine Zeichnung zu schaffen. Aber das Wichtigste am Entwurf solcher Regelwerke scheint mir zu sein, dass Sie diese immer wieder durchbrechen. Nicht jedem Tag folgt eine Aufzeichnung, manchmal passiert gar nichts oder erst im Nachhinein, wenn die Erinnerung an einen Tag Ihnen den Weg dorthin weist, wo die Essenz des Tages gelegen haben könnte. Regeln zu durchbrechen, das machen Sie wohl auch deshalb gerne, weil Sie eine Lust daran haben, etwas Verbotenes zu tun, wie Sie sagen ‒ beispielsweise Bücher zu zerreißen.

Dieser offene Spieltrieb ist Ihnen der Grund, mit dem Sie die eigene Stimme erheben, den Alltag etikettieren, Slogans entwerfen, Motti aufstellen und wieder sprengen. Sie schaffen es, die Erhabenheit des Bildes und des Wortes zu inszenieren, ohne sich dabei von falschverstandenem Pathos davontragen zu lassen, weil Sie sich selbst und den Betrachtenden immer wieder Haken schlagen.

Sie sind dem Land Schleswig-Holstein eng verbunden und haben, bis auf die fünf Jahre des Studiums an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, immer in Schleswig-Holstein gelebt und gearbeitet. Nicht nur der Arbeitsort, auch die Auseinandersetzung mit Orten Schleswig-Holsteins ist zentral für Ihr Werk, gleichzeitig sind Sie eine Künstlerin im Dialog über die Zeit und die Landesgrenzen hinweg. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu dem Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein, das mit Ihnen eine der großen Künstlerinnen im hohen Norden ehrt, und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute !

aus: Elsbeth Arlt, »mal Lust & MALGRÜNDE«. Hrsg. Museumsberg Flensburg und Elsbeth Arlt, Flensburg 2013,
S. 18-23.